- Weg AAB -
by Jacqueline V. Droullier
„Verdammt verfluchter Einhornpups!“, schimpfte Plüm. Konnten die Welten denn nicht einmal ohne sie zurecht kommen? Doch wenn das Archiv in Gefahr war, musste sie handeln. Zu viel stand auf dem Spiel und das Schattenwesen war nur eine unbedeutende Schachfigur in dem großen Ganzen. Sie gab es auf, ihren Gummistiefel aus dem Moor zu ziehen, schlüpfte mit dem Fuß hinaus und sprang zurück in das Weltenarchiv. Es dröhnte und schepperte, Schreie hallten in dem Archiv wieder, als wäre jede einzelne Welt plötzlich von einer Grausamkeit schlimmsten Ausmaßes befallen. Die Zeit spielte gegen sie. Auf Hilfe konnte sie nicht hoffen. Die Welten wären zerstört, bevor sie andere Magier würde erreichen können. Schnell hastete die Archivarin zu ihrer Sternenkarte und rief die Ansicht der Welten auf. Ihr stockte der Atem. Ein dunkler Schatten breitete sich über das gesamte Weltengefüge aus, schien eine Welt nach der anderen mit seiner Finsternis zu verschlingen. Das war unmöglich … Und dennoch wusste Plüm, dass es nur eine Möglichkeit gab, das Unheil aufzuhalten. Einen Notfallplan, von dem sie niemals geglaubt hätte, ihn jemals in die Tat umsetzen zu müssen. Kurz schloss sie die Augen und atmete tief durch. Die Schreie hallten bis in ihr Innerstes, eine Mischung aus Schmerz und Angst, und ließen ihr Herz schneller schlagen.
Sie war die Archivarin.
Sie beschützte die Weltengefüge.
Es war ihre Bestimmung.
Entschlossen legte sie ihre rechte Hand auf die Sternenkarte, die Linke drückte sie gegen ihr Herz. Immer wieder murmelte sie die Worte, die ihr nach ihrer Lehrprüfung eindringlich eingetrichtert worden waren, auch wenn niemand davon ausgegangen war, dass sie sie jemals brauchen würde. Zuletzt hatten die Schattenwesen das Gefüge vor hunderten von Jahren angegriffen. An die Geschichten konnte sie sich erinnern. Schon damals war ihnen die Zerstörung nicht gelungen und Plüm würde dafür sorgen, dass sie es heute auch nicht schafften. Nicht, solange sie die Archivarin war!
„Gefüge, Gefüge, ich bitte dich,
Sammle deine Kräfte und bleib im Licht!“
Die Wände des Archivs bebten, Bücher fielen aus den Regalen, Pergamentrollen kullerten über den Boden, in dem sich bereits Risse bildeten.
„Gefüge, Gefüge, so soll es sein,
nimm mein Licht, es ist nun dein!“
Schwarze Nebelfaden waberten durch die Ritzen, krochen über den Boden auf Plüm zu, doch sie ließ sich nicht von ihnen beirren.
„Gefüge, Gefüge, es ist so weit,
vernichtend schlägst du die Dunkelheit.“
Plüms Hand leuchtete auf, wie ein gleißender Strahl brannte sich die Helligkeit in die Sternenkarte. Es war, als würden die Sterne sämtliche Energie aus Plüm beziehen. Die Ränder ihres Sichtfeldes schränkten sich ein, ihr wurde schwindelig und sie klammerte sich an die Karte, während das Licht sie verließ. Der Quell ihres Lebens. Allen Lebens.
Erschöpft sackte sie in sich zusammen. Mit letzter Kraft blickte sie auf die Karte und erkannte mit Genugtuung, wie sich der Schatten aus dem Weltengefüge zurückzog. Es war vollbracht. Die Welten waren gerettet und mit ihnen das Archiv, das sie zu beschützen gelobt hatte. Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss sie die Augen.
Irgendwo kratzte der Stiel einer Feder über ein noch unbeschriebenes Stück Pergament und verewigte mit blauer Tinte aus Sternenstaub das Geschehene für die Nachwelt. Damit jeder wusste, welches Opfer Plüm für das Gefüge gebrachte hatte.