- Weg BA -
by Jacqueline V. Droullier
Plüm blinzelte. Still hing der Löwenkopf mit dem großen Ring vor ihr, als hätte sich das schmiedeeiserne Tor niemals geöffnet. Als wäre alles ihrer Einbildung entsprungen. Sie schüttelte den Kopf. In ihren ganzen Jahren als Archivarin war ihr noch nie etwas derart Grauenhaftes widerfahren. Der hilfesuchende Blick des Schattenwesens ging ihr noch immer durch Mark und Bein.
Nein, sie durfte die Zauberin mit ihrer Tat nicht ungeschoren davonkommen lassen! Sie musste das Weltenarchiv mit allen Mitteln beschützen und das ging nur, wenn das Böse vernichtet wurde. Eilig suchte sie ihre Ausrüstung zusammen: ein Messer für den Notfall, sollte ihre Magie nicht ausreichen. Ein Buch mit den tödlichsten Zaubersprüchen, sollte ihr einer entfallen. Wobei sie dann wahrscheinlich ganz andere Probleme hätte. Einen Heiltrank für das Schattenwesen oder sich selbst. Man konnte schließlich nie wissen, was einen erwartete. Kurz schwebte ihre Hand über der Taschenuhr, die ihr alles bedeutete. Sie klappte sie auf und betrachtete den Spruch auf der Innenseite, der sie täglich daran erinnerte, was ihre Aufgabe war:
„Egal in welchem Weltengefüge du dich befindest, sei dir immer gewiss, die Zeit steht niemals still.“
Es würde weitergehen. Wie auch immer dies hier endete. Tief atmete sie durch, verstaute die Uhr ebenfalls in der Tasche und ließ einen letzten Blick durch ihr geliebtes Weltenarchiv schweifen. Schließlich wandte sie sich dem Löwenkopf zu. Wieder glaubte sie, ein rotes Funkeln in seinen Augen erkennen zu können, als freue es sich auf ein weiteres Opfer, das es verschlingen konnte. Ohne weiter zu zögern, streckte Plüm die Hand aus und berührte das kalte Metall. Erneut schoss ein gleißender Blitz durch den Raum, das Tor öffnete sich und offenbarte ein flammendes Inferno. Gamorrah. Der wohl fürchterlichste Ort aller Welten.
Plüm ließ die Energie durch ihren Körper fließen, ihre Fingerspitzen umspielte das blaue Funkeln. Das gab ihr den Mut, das Tor zu durchschreiten.
„Ich habe auf dich gewartet, Archivarin“, erklang die Stimme der bösen Zauberin. Ihre gräuliche Haut war durchzogen von blauschimmernden Adern. Ein rotes Funkeln wirbelte um ihre krallenartigen Finger, ihr blutverschmierter Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
„Glaube nicht, dass ich es dir leicht machen werde“, entgegnete Plüm und streckte herausfordernd die Hände aus.
Das Lachen der Zauberin klang wie das Gackern eines verrückten Huhns. „Das hoffe ich doch.“
Rote Blitze schossen auf Plüm zu, sie wich geschickt zur Seite, duckte sich unter dem nächsten hinweg und schleuderte der Zauberin ihrerseits blaue Blitze entgegen. Funken sprühten, Steine fielen von der Decke und zerbarsten unweit von ihr entfernt. Die Zauberin war stark, doch Plüm wusste sich zu wehren. Das Böse würde niemals über das Gute siegen!
Ein Röcheln erklang. Es war nur ein winziger Augenblick, in dem Plüm zur Seite schaute und das grauenhaft zugerichtete Schattenwesen auf der Erde liegen sah. Nur für einen Moment wich ihre Konzentration. Ein roter Blitz fuhr ihr direkt durchs Herz. Keuchend fasste Plüm sich an die Brust und sank auf die Knie. Ihr Atem ging in heftigen Stößen, ihre Sicht verschwamm …
„Du enttäuschst mich, kleine Archivarin“, sagte die Zauberin und seufzte theatralisch, als sie ihre Kreise um Plüm immer enger zog. „Ich habe wohl zu viel erwartet.“ Sie ließ die Funken zwischen ihren Fingern tanzen, dann richtete sie die Hand auf Plüm. „Stirb!“