- Weg BB -
by Gwendolyn A. Wynter
Der Gedanke, der Plüm in diesem Moment überkam, sprach gegen alles, wofür sie bisher gelebt hatte. Die Weltentore galt es zu schützen. Mit allem, was sie hatte. Doch dieser kurze Moment, in der sie die knorrige Hand mit ihren rot lackierten Nägeln gesehen hatte, hatte der Archivarin bewusst werden lassen, dass das Richtige zu tun nicht immer die richtige Entscheidung war.
Erneut ließ sie die Energie aus ihrem Herzen fließen und fixierte das Portal, das jetzt wieder völlig normal aussah. Nichts deutete mehr auf das hin, was sich nur Sekunden zuvor vor ihren Augen abgespielt hatte.
Einen kurzen Moment fragte sie sich, ob sie vielleicht doch an dem zweifeln sollte, was sie zu sehen geglaubt hatte. Doch das, was da hinter dem Portal wartete, konnte sie sich nicht eingebildet haben.
Plüm schloss ihre Hände zu Fäusten, sodass das bläuliche Licht, das aus ihren Fingerspritzen drang, gedämpft wurde. Das Schattenwesen war gekommen, um das Portal zu zerstören. Und sie hatte den Beweis bekommen, dass es besser nicht dabei gezögert hätte. Also sollte sie es jetzt ebenfalls nicht tun.
Sie atmete tief ein und schob den Sonnenhut auf ihrem Kopf zurück, sodass sie ein freies Blickfeld auf das große Portal hatte. Er fiel zu Boden, doch darum kümmerte sie sich nicht. Ein letztes Mal las sie den Namen Gamorrah, bevor sie all ihr Wissen darüber sorgfältig in ihren Gedanken verschloss. Später, wenn die Sicherheit wiederhergestellt war, würde sie ihre Arbeit als Archivarin aufnehmen und alles in Büchern sammeln. Doch jetzt war sie die Magierin Plüm, die alles zu tun bereit war, was zum Schutz der anderen Welten nötig war.
Etwas so phantastisches wie ein Weltentor konnte sie nicht einfach durch ihre Kraft beschädigen oder gar zerstören. Deshalb begann sie unter höchster Konzentration mit der metallenen Spitze ihrer Feder, Runen in einem Halbkreis um das Portal in den Boden zu kratzen. Es tat ihr in der Seele weh, so mit ihrer Feder umzugehen, doch ihr blieb keine Wahl. Währenddessen murmelte sie Worte einer alten Sprache und die Runen flammten in einem hellen Blau auf. Anschließend zeichnete sie mit dem Finger weitere Zeichen in die Luft.
Sie musste sich beeilen, denn sie würden ohne weitere Energie schon bald wieder verlöschen. So sorgfältig wie möglich, überprüfte und korrigierte sie die unzähligen Bögen und Striche. Dann stellte sie sich einige Meter entfernt davon auf und hob die Arme.
Prickelnde Wärme wanderte durch ihren Körper, sammelte sich in ihren Fingerspitzen und übertrug sich auf die Symbole in der Luft und dem Boden, die so hell aufflammten, dass Plüm die Augen zu schmalen Schlitzen verengte. Und dann schleuderte sie mithilfe der Runen ihre ganze Macht dem Weltentor entgegen. Krachend zersprang der Torbogen, auf dem der Name prangte. Staub rieselte zu Boden und Risse durchzogen die Türflügel.
Risse? Plüm hielt inne und verringerte die Kraft, die sie ausübte. Das Portal sollte versteinern und sich dann in die Umgebung einfügen, als wäre es nie da gewesen. Doch stattdessen verbreiterten sich die Risse zu klaffenden Spalten, bis sie die andere Seite sehen konnte. Und rotes Licht.
Als die Türflügel endgültig in sich zusammenfielen, hatte sie freie Sicht auf die Welt dahinter – und die roten Runen der anderen Magierin, die Plüms Zauber ins Gegenteil verkehrt hatten.