- Weg BBA -

by Miriam Skovo

Plüm zögerte nur eine Sekunde, bevor sie einen Entschluss fasste. Sie straffte die Schultern und atmete tief durch, um ihr wild pochendes Herz zu beruhigen. Sie musste die Zauberin finden. Doch Plüm wusste nicht, ob sie ihr gewachsen war. Trotzdem musste sie es versuchen. Sie war schließlich die Hüterin der Weltentore. Sie war dafür verantwortlich, dass das Gleichgewicht der Welten aufrecht erhalten wurde.
Die Welt Gamorrah war ihr nicht unbekannt. Sie hatte genug darüber gelesen. Beißender Geruch nach Schwefel, der in dicken Rauchschwaden vom verbrannten Boden aufstieg und unheimliche Stille. Doch die kleinen Feuerschalen, die versuchten, die Dunkelheit zu vertreiben, waren ihr neu.„Die Hüterin der Weltentore hat also den Weg in die trostloseste Einöde gefunden, die es jemals gegeben hat.“
Plüms Herzschlag beschleunigte sich, doch das hinderte sie nicht daran, das Pulsieren der Magie in ihrem Körper nachzuspüren. Sie war bereit, sich der Zauberin zu stellen und zwar mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen.
Die Rauchschwaden lichteten sich und gaben den Blick auf die Frau frei, die das Gleichgewicht der Welten stören wollte. Als sie ihr Gegenüber erblickte, weiteten sich Plüms Augen. Erschrocken wich sie einige Schritte zurück. Ihr Mund öffnete sich mehrmals, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Diese Zauberin sah genauso aus wie sie! Es war, als würde sie in einen Spiegel sehen.
„Hast du es etwa nicht gewusst?“ Ihr Gegenüber lachte gehässig.
„Was gewusst?“
„Warst du wirklich so arrogant zu glauben, du wärst die einzige Hüterin der Welten?“
„Nun …“ Die Worte ihrer Gegnerin konnten Plüm zwar nicht beleidigen, aber aus der Bahn werfen. Sie war verwirrt.
„Komm schon, kleine Plüm. So schwer ist es auch nicht zu verstehen.“
Die Luft flimmerte vor der Zauberin rötlich, als sie ihre Hände hob. Ihre Magie knisterte in der Luft, doch sie griff nicht an, sondern sah Plüm erwartungsvoll an.
»Aber … Also … Du bist ebenfalls eine Hüterin der Welten?“
„Siehst du, war gar nicht so schwer! Du bist zwar die Hüterin aller Welten, aber in den jeweiligen Welten gibt es natürlich ebenfalls einen Hüter.“
„Warum zur Hölle siehst du genauso aus wie ich?“
Die Magie um Plüms Zwilling verschwand. „Tja, das ist wohl die Frage aller Fragen, die der da oben niemals beantworten wird.“ Sie deutete mit ihrem Finger in den dunklen Himmel.
Plüm sortierte ihre Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche. Sie war hier, um zu verhindern, dass diese Welt von ihrem Zwilling zerstört wurde. „Wenn du eine Hüterin bist, warum willst du Gamorrah dann zerstören?“
„Glaubst du wirklich, ich hätte mir freiwillig diese trostlose Einöde als Welt ausgesucht? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schrecklich es ist, hier zu leben? Während du das schönste Leben bei den Menschen führst und nach Belieben in die einzelnen Welten reisen kannst, sitze ich hier fest. Ich kann den Schwefelgeruch kaum noch ertragen.“
Plüm runzelte die Stirn. „Und du willst die Welt zerstören, weil …?“
Die Zauberin rollte genervt mit den Augen. „Es ist doch ganz einfach. Ein zerstörte Welt sorgt dafür, dass ich von dem da oben wo anders eingesetzt werde.“
Verständnislos sah Plüm ihr Gegenüber an. „Aber du könntest es dir doch hier schön machen. Mit deiner Magie könntest du sogar einen Freizeitpark erschaffen.“
„Natürlich könnte ich das, aber es würde nichts an der Tatsache ändern, dass ich weiterhin alleine wäre und ich habe es satt. Ehrlich. Ich würde alles tun, um von hier verschwinden zu können. Es gibt so tolle Welten, die voller magischer Wesen sind. Aber in Gamorrah? Hier gibt es nichts. Es ist ein zerstörtes Land. Leer. Einsam.“
„Du weißt doch, dass das Gleichgewicht der Portale gestört wird, wenn du die Welt vernichtest! Wie kannst du nur so egoistisch sein?“
„Wir können gerne tauschen, kleine Plüm. Dann siehst du, wie es ist, in einer einsamen Welt zu leben. Du kannst mir glauben, ich war nicht immer so böse und bereit über Leichen zu gehen. Die Einsamkeit hat mich dazu gebracht.“
„Wärst du bereit, einen Kompromiss einzugehen?“
Die Zauberin musterte Plüm intensiv, bevor sie zögerlich nickte. „Wenn dieser zu meinem Vorteil wäre, dann schon.“
Plüms Herzschlag beschleunigte sich und sie atmete erleichtert aus. Sie hasste Gewalt und war froh, dass ihr Zwilling bereit war, einen Kompromiss einzugehen. „Gut, dann hör mir zu.“

Lächelnd schlug Plüm das Buch zu. Sie sah auf die Uhr. Sofort sprang sie auf und ging zu dem Weltentor, das sie inzwischen täglich passierte. Sie hatte es der Zauberin schließlich versprochen. Zusätzlich hatte Plüm dem Teufel in einer der anderen Welten einen Besuch abgestattet. Sie hatte es nur ihrer Überredungskunst zu verdanken, dass der Herrscher der Hölle eingewilligt hatte, einige seiner Wesen nach Gamorrah zu schicken. Die Zauberin war wirklich glücklich, als sie all die Wesen aus der Hölle, denen der Schwefelgeruch und die Hitze nichts ausmachte, gesehen hatte. Endlich war sie nicht mehr alleine. Plüm war wirklich stolz auf sie. Sie kümmerte sich liebevoll um die magischen Wesen.
Trotzdem ist die Zauberin bisher die einzige Hüterin, die Plüm jemals zu Gesicht bekommen hatte. Obwohl sie sich in den anderen Welten suchend umgesehen hatte. Keiner der Hüter hatte sich ihr gezeigt. Doch Plüm war schrecklich neugierig, auch, wenn der Gedanke sie gruselte, dass möglicherweise alle Hüter wie sie aussahen.
Als Plüm in Gamorrah auftauchte, entdeckte sie die Zauberin auf einer breiten Couch unter einem roten Zelt sitzen. Vor ihr stand ein kleiner Tisch, dessen Oberfläche ein Schachbrettmuster abbildete. Darauf standen die Figuren noch in derselben Position wie gestern, als sie aufgehört hatten. „Da bist du ja endlich. Los, heute werde ich dich besiegen, da bin ich mir sicher.“
Grinsend setzte Plüm sich auf die andere Seite des Tisches und musterte ihre schwarzen Schachfiguren. Sie war wirklich froh, dass sie die Zauberin davon überzeugen konnte, diese Welt nicht zu zerstören.
Plüm war sogar der Meinung, dass die bereits verstrichene Zeit ihr Gegenüber zu einer guten Freundin gemacht hatte. Sie teilten die Geheimnisse der Welten und das war ein schönes Gefühl.

Ende

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