Weltenvorstellung

Die Entstehung von Fjoergyns Labyrinth

Willkommen zur nächsten Station der Releaseaktion rund um „Fjoergyns Labyrinth“ von Hannah Sternjakob! Hier könnt ihr erfahren, aus welchem Grund und wie Fjoergyns sein düsteres Labyrinth erschaffen hat und warum er regelmäßig ein Opfer fordert. 

Um euch direkt die passende Atmosphäre der Geschichte zu übermitteln, könnt ihr alles hautnah durch Teile des Prologs miterleben… 

Macht euch also bereit für eine Reise durch die Geschichte der Insel Tallin! 

Die Ankunft der Menschen

„Das salzige Wasser der Weltenmeere spülte die Menschheit an die felsige Küste von Tallin. Schon von weitem hatten die Möwen die Schiffe erspäht und kündigten deren Ankunft mit lauten Schreien an. Dutzende der weiß gefiederten Vögel saßen auf einem toten Baumstamm, der im seichten Wasser trieb und von den Wellen hinund hergeschaukelt wurde. Die Insel lag nordwestlich des restlichen Menschenreichs und schien unbewohnt. Weit und breit war keine Spur von Zivilisation zu erkennen.

Ulf Tyr war der Erste seiner Zeit, der seinen Fußabdruck mit einem knirschenden Laut auf einer der feinen, weißen Sandbänke Tallins hinterließ und damit einen kleinen, roten Krebs unter einen Stein jagte.“

Das Leben

„Sein Herz machte einen Sprung, als er die Vegetation unweit der Sandbank entdeckte und ihm bewusst wurde, auf was er hier gestoßen war. In keiner Aufzeichnung, die er kannte, hatte es jemals ein Seemann gewagt, so weit nach Nordwesten zu segeln. Angeblich trieben riesige Monster, sogenannte Titanen dort ihr Unwesen und zogen Schiffe in den Abgrund des Meeres, sobald sie auch nur in die Nähe dieser sagenumwobenen Insel segelten. Doch Ulf interessierte sich mehr für die Geschichten über die seltenen Pflanzen und Tiere, die es auf dieser Insel geben sollte. In manchen von ihnen sollte sogar pure Magie innewohnen.“

„Tränen der Freude und des Erfolges kämpften sich an die Oberfläche und Ulf betrachtete den Standort seiner Stadt durch einen Tränenschleier. Konnte er dort am Horizont nicht schon den ersten Turm erkennen? Und die lange, dunkle Hafenmauer, die in das Meer ragen und an der sich die Wellen brechen würden …?“

Langsame Zerstörung

„Es vergingen einige Tage, an denen die Menschen Tag und Nacht damit beschäftigt waren, Fässer, Kisten und Gerätschaften an Land zu hieven. Gräser und Blumen wurden zerdrückt und das sägende Geräusch der Maschinen löste bald das Zwitschern der Vögel ab, die auf der Insel zuhause waren. Die Menschen schlugen ihre Äxte in die raue, fingerdicke Rinde der uralten Bäume, die so viele Lebenslinien in ihrem Stamm verzeichneten, dass es Stunden dauern würde, sie alle zu zählen. Verfrachtet und verkauft wurden das wertvolle Holz und die süßen Früchte in die restliche Welt. Durch die hohe Nachfrage vergrößerte sich die Hauptstadt in rasanter Schnelligkeit und immer weitere Dörfer sprossen aus dem fruchtbaren Boden. Mehr und mehr Menschen wollten auf der sogenannten goldenen Insel leben, denn gut bezahlte Arbeit gab es genug. Bäume wurden gefällt, Stein abgetragen und Tiere gejagt. Jägersmänner töteten die Tiere und zogen ihnen die Haut ab, um letzten Endes das Fleisch verwesen zu lassen. Der Pelz war vor allem in den nördlichen Regionen des Menschenreichs sehr gefragt. Noch nie hatten die Menschen dort ein wärmeres Fell als das eines Opalwolfes gesehen.“

„Innerhalb eines Jahrzehntes hatten es die Menschen geschafft, mehr als die Hälfte des grünen, dichten Waldes abzuholzen. Pflanzen und Tiere starben, weil sie keinen Platz mehr zum Leben hatten. Sie gerieten in Vergessenheit, als auch der Letzte ihrer Art starb und einsam zu Grunde ging. Wo waren die Bäume und Bestien hin, die Fjoergyn über die Jahrhunderte erschaffen hatte? Wild, frei und groß wie Berge waren jene Titanen, die Fjoergyn einst hatte entstehen lassen. Schwer wie Blei, doch ungefährlich für jene, die im Einklang mit der Natur lebten.“

Die Strafe Fjoergyns

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„Mit der Zeit jedoch verschwanden die Opalfüchse und es gab immer weniger Bäume, die gefällt werden konnten. Die Arbeit wurde härter, doch der Strom an Menschen, die auf der Insel leben wollten, brach nicht ab. Jene, die keine Arbeit fanden, baten ihre Dienste in Bordellen oder als Schuhputzer an. Einige schickten ihre Kinder in die Wälder, um nach merkwürdig aussehenden Wurzeln zu graben. Diese wurden dann am Hafen als potenzsteigernde Medizin verkauft und genossen eine hohe Beliebtheit. In den Dörfern im felsigen Norden wurde immer mehr Bergbau betrieben, wohingegen im Osten Fischersiedlungen aus dem Boden schossen.
Das Land schrie, doch niemand wollte es hören …“

„Holz splitterte, Steine schlugen aufeinander. Die Welle riss Mauern nieder und entwurzelte die Bäume, die die sonst so belebte Hafenpromenade säumten. Das Rauschen des Wassers, das immer weiter in das Landesinnere drängte, verschluckte die Schreie der Menschen, die um ihr Überleben kämpften. Die erste Träne der Verzweiflung lief dem Menschen, der dort einsam und verlassen im Gras kniete, über die Wange.
»Was willst du? Ich tue alles!«, rief er in den Himmel und faltete bittend die Hände. Selbst als seine feuchten Haare ihm ins Gesicht und in die Augen peitschten, wagte er es nicht, sich zu rühren. Es verging eine Ewigkeit, bis er sich schnaufend zusammensacken ließ.
»Ein Opfer.«
»Was …?« Erschrocken fuhr er herum. »W-Wer ist da?«, presste der Mensch ehrfürchtig hervor. »F-Fjoergyn?«
»Ihr Menschen seid so dumm!«, schallte es in hundert verschiedenen Stimmen, von denen nur ein Bruchteil menschlich sein konnte. »Fjoergyn ist überall …«
»Ich … Ich möchte es wiedergutmachen«, presste der Mensch unsicher hervor. »Ich sehe ein, dass wir es übertrieben haben. Wie können wir für unsere Sünden bezahlen?«
»Mit eurem Blut … Ein Opfer zu jeder neu anbrechenden Jahreszeit.«
»Wie?! Aber wie soll ich das meinem Volk erklären?«
»Mensch, ich empfehle euch, Fjoergyns Gnade nicht auf die Probe zu stellen!«
»J-Ja … Natürlich nicht!« Ulf nahm augenblicklich eine gebeugte Haltung ein. »Wir werden es so machen, wie ihr es gesagt habt. Nur bitte, verschont uns.«
»Ich werde mein Reich vor eurer Habgier schützen. Jedenfalls das, was davon übrig ist …«, ertönte es in flüsternden Stimmen über die Anhöhe. Einen Moment später legte sich der Sturm. Das Wasser zog sich zurück aus den Gassen der Stadt und offenbarte, welch eine Kraft dort gewütet hatte.
»Ich … Ich danke euch!«, rief Ulf Tyr aus, als er spürte, dass der Regen nicht mehr auf seinen Rücken prasselte und eine beängstigende Stille eintrat.
Während der neue Tag anbrach und sich der Himmel am Horizont rosa färbte, saß Ulf noch immer auf dem Hügel und starrte in den Wald, in den das Wesen verschwunden sein musste. Nebelschliere bildeten sich auf dem noch feuchten Gras, während Ulf dabei zusah, wie sich Barrieren aus Dornen, Sträuchern und Bäumen auftaten. Die vielen verschiedenen Gewächse wucherten ineinander, bildeten Durchgänge und Lücken, um letzten Endes wieder zu verschmelzen. Der Wald lebte und formte einen Irrgarten. Eine Barriere zwischen Mensch und Natur. Ein Mahnmal, das an jene Nacht erinnern sollte.
Fjoergyns Labyrinth.“

Klappentext

Immer weiter breitet sich die Zivilisation auf Tallin aus und drängt den dort lebenden Naturgeist Fjoergyn in das Dickicht der Wälder. Als er erbarmungslos zurückschlägt, lässt er sich nur durch einen Pakt besänftigen. Fjoergyn teilt das Land durch ein lebendes Labyrinth, das ebenso wild ist, wie die Natur selbst.Mitten hinein stürzt die kranke Anouk, deren junges Herz vor Sehnsucht brennt. Als der Naturgeist seinen Tribut fordert, trifft Anouk eine fatale Entscheidung und erfährt, was sich hinter der Barriere aus Wurzeln und Blättern verbirgt.Anouk gerät zwischen die Fronten, doch ist ein friedliches Miteinander von Mensch und Natur überhaupt möglich?